Es ist Oktober. Ich habe das große Glück, dass ich noch mal ein Wochenende auf der Zuversicht segeln darf, während allerorten schon fleißig geslippt wird. Ein befreundeter Yacht-Redakteur will sich unsere alte Dame noch einmal gründlich anschauen, um darüber zu schreiben.

So ganz jung sieht sie tatsächlich heute Morgen nicht mehr aus, als ich an Bord komme. Es sind nicht nur die 110 Jahre, die sie zum großen Teil als Frachtsegler in der dänischen Südsee gedient hat, die man ihr ansieht, sondern vor allem auch die lange Saison: 150 Tage unterwegs, 500 Jugendliche sind über das Schiff getobt. Der Lack ist ab, und wie auch andere Damen nach einer lang durchtanzten Ballnacht braucht die Zuversicht jetzt dringend neue Farbe. Aber der Winter steht zum Glück vor der Tür…

Das abgewetzte Schandeck hindert unseren Schreiberling nicht daran, mit fast verliebtem Blick jedes kleine Detail genauestens zu studieren. Der Fotograf, der inzwischen auch mit von der Partie ist, hält es genauso.

Während ich schon mal den guten alten marinisierten MAN Motor startklar mache, Öl- und Wasserstände prüfe,  und anschließend meine überwiegend aus Frauen bestehende Crew begrüße, sind schon so viele Fotos geschossen, dass die ersten drei Filme schon voll sein müssten. Aber wir leben ja im digitalen Zeitalter. Dennoch – wenn ich sehe, aus welchen Blickwinkeln Morten unsere guten alten Eichenmasten betrachtet, fange ich an, die Zuversicht mit anderen Augen zu sehen. Wie zum Beispiel funktioniert es, dass diese Stenge oben auf den Masten halten? Jeder, der schon mal versucht hat, zwei Äste miteinander zu verbinden, weiß, wie schwierig das ist!! Dann ist da die Takelage – wer durchschaut das eigentlich? Und die Taue, zum Teil noch aus Manilahanf, – wenn man sie in die Hände nimmt, ahnt man schon die Schwielen, die sich beim Arbeiten mit all den Fallen und Schoten ergeben werden. Dafür riechen sie aber so wunderbar romantisch nach altem Schiff und Labsal.

Die Romantik lässt aber noch ein bisschen auf sich warten, jetzt heißt es erst einmal Leinen einholen und unter Maschine geht es durch die Brücke raus aus der Hörn. Dann lasse ich die Jungs mal ein bisschen arbeiten, sie sollen spüren, dass die Zuversicht kein Vergnügungsdampfer, sondern ein Traditionssegler ist, auf dem noch mit eigener Hände Arbeit geschafft wird und nicht elektrisch. Nicht nur, dass der etwas bauchige Rumpf eher an ein Arbeitstier erinnert, es ist auch die zum Teil knochenharte Muskelarbeit beim Reißen der Schoten und Aufheissen der Segel, die einem vor allem abends das Gefühl vermittelt, dass die harte feuchte Koje unter Deck das Beste ist, was einem nach einem langen Tag passieren kann. Aber so weit sind wir noch nicht. Jetzt werden die Segel gehisst, es ist ein herrlicher Herbsttag mit tollem West-Wind, wir rauschen aus der Förde. Weil wir ja jetzt einen Fotografen an Bord haben, werden natürlich auch die Toppsegel gehisst. Das entwickelt sich nicht so einfach, irgendwie ist das Fall nicht klar. Kein Problem für Matze, der aufentert, um sich das Ganze aus der Nähe anzusehen. Nach dem das Fall klariert ist, genießt er den Blick, und jetzt wird auch Morten nervös – ob er da auch mal rauf könne?

Und natürlich entsteht draußen vorm Leuchtturm auch der Wunsch nach Außenaufnahmen. Aber unser Dinghi, so schön es da weiß geklinkert zwischen den Taljen hängt – das ist vielleicht doch etwas „Hoffnungslos“, da ist der Name Programm. Bei dem inzwischen recht frischen Wind und auch den Wellen krieg ich doch die beiden nie wieder an Deck. Wie gut, dass es die Joghurtbecher gibt. In Lee kommt ein befreundetes Vereinsmitglied mit einem solchen längsseits und nimmt den Fotografen an Bord und nun geht es kreuzenderweise nach Schleimünde. Wir seien zu schnell, hören wir mehrfach – ja, denn jetzt läufts. Ab 4 Windstärken zeigt unser schöner alter Schoner, was er kann. Die Zuversicht strotzt jetzt vor Kraft, ihre Linien, die für Yachtsegler wohl eher etwas drall anmuten, wirken bei etwas mehr Fahrt und Krängung gleich eleganter, die Segel blähen sich weithin sichtbar dunkelrot an den kräftigen Masten. Natürlich sind sie inzwischen nicht mehr aus Baumwolle, aber diese liegen noch als Museumsexemplare bei uns im Lager. Die Toppsegel werden jetzt eingeholt, das Wenden mit ihnen klappt nicht so gut, da fehlt uns ein zweites Fall und noch ein paar mehr Hände…

Warum die Zuversicht eigentlich ein Marstalschoner sei, werde ich gefragt. Wo sie doch in Nyborg gebaut ist. Nun ja, so hießen die Frachtsegler, die so typisch für die Gewässer rund Marstal waren, schnelle Schoner eben, meist schwarz gepönt, mit weiß umrandetem Heckspiegel, der an ein Herz erinnert, etwas wendiger als die Rahsegler, großer bauchiger Rumpf, der hervorragend zum Transport von Fisch, Steinen etc. diente. Aus Marstal kam seinerzeit die zweitgrößte Handelsflotte Dänemarks, gleich nach Kopenhagen. Für wenig Crew gebaut, angeblich sollten zum Teil nur zwei bis drei Bootsleute neben dem Skipper an Bord gewesen sein, (was ich mir kaum vorstellen kann, aber vielleicht bin ich als Schreibtischtäter auch einfach nicht in Form), boten sie Platz für viel Ware.

Heute ist das anders. Die meisten der übrig gebliebenen Schoner sind inzwischen ausgebaut für Jugendgruppen und Gäste, die die Seefahrt kennen lernen wollen. So wie bei uns. Natürlich muss jeder mit anpacken, sei es in der Kombüse, an Deck oder an den Segeln. Jeder hilft, damit wir ans Ziel kommen. Das ist typisch für das Traditionssegeln. Nur die Navigations- und die Sicherheitsausrüstung ist modern, alles andere geht wie eh und je mit eigener Hände Arbeit.

Die Jahrhundert-alte Dame gehört seit der Jahrtausendwende zu unserem Verein und wir haben inzwischen viel miteinander erlebt. Angefangen hat es seinerzeit bei einem Glas Wein, wo irgendjemand erzählte, dass die Zuversicht versteigert werden solle. Wir hatten Glück und die Unterstützung von Banken und großzügigen Geldgebern und konnten die Zuversicht bald unser eigen nennen. Als wir mit Zusatzgenerator und Extrapumpen die Überführung von Sonderburg nach Kiel antraten, ahnten wir vielleicht, dass das Schiff in diesem Zustand durchaus auch untergehen könnte. In der Tat ging die Zuversicht wenige Tage später auf Grund – durch die Gewichtsverlagerung nach dem Mastenziehen waren die offenen Kalfatnähte unter Wasser geraten, die Pumpen schafften es nicht mehr und gaben den Geist auf. Das jedoch passierte zum Glück erst auf der Werft und ebenfalls zu unserem Glück waren wir dadurch gezwungen, Motor und Elektrik zu überholen, was uns vielleicht vor anderem bewahrt hat.

Seitdem haben wir viel geschliffen, lackiert, repariert, ausgebessert, ausgewechselt, die Stunden sind ungezählt. Jedes Jahr finden sich wieder viele Helfer, die verrückt genug sind, ihren Winter unter der Plane zu verbringen, um alles auf Vordermann zu bringen. Bevor wir dann wieder ablegen, und hinaus segeln auf die Ostsee, so wie heute. Nur dass uns unsere Reisen sonst natürlich viel weiter bringen als so wie heute nur an die Schlei. Nein, rund um die Nord- und Ostsee, auf den Lofoten – viele schöne Ziele waren schon unsere.

Nicht überall haben wir so viel Platz wie in Maasholm heute Abend. „Zuhause“ im Museumshafen in Kiel gestaltet sich das Anlegen deutlich schwieriger. Die meisten Häfen sind ja inzwischen eher für Yachten ausgelegt und eng und verbaut. Da kämen wir ohne unsere PS-starke Maschine nicht aus. So wie früher nur unter Segeln – das ist lange her. Jetzt heißt es genau zirkeln, damit der Klüver nicht die Stromkästen oder die Laternen an Land wegfegt oder aber das Beiboot an den Pollern hängenbleibt. Wie immer, dauert das ein wenig länger und zieht Schaulustige an.

Die Bootsfrau macht die Segel heute allein hafenfein, sonst etwas, wo auch die Gäste mit anpacken. Gar nicht so einfach, das riesige Tuch von Hand aufzuschießen. Eine Rollfock gibt’s bei uns nicht.

Beim Anlegebier gibt es dann die Manöverkritik – war das mit der Wurfleine gekonnt oder nicht? Hätten wir vielleicht doch erst mit der Vorspring anlegen sollen? Das Wie und Warum wird erörtert, wir sind alle keine Profis und lernen täglich dazu.

Inzwischen weht ein leckerer Geruch aus der Kombüse nach oben. Mmmmh, wie schön, ein leckeres Essen haben wir uns verdient. Bei alten Geschichten voller Seemannsgarn vergeht der Abend wie im Flug, und jetzt fallen wir, müde und k.o. in die Kojen, die jetzt gar nicht mehr so klein und hart, sondern regelrecht luxuriös erscheinen. Sagt ich’s doch – die harte Arbeit ist zu was gut! Ich spüre jeden Muskel und bin doch glücklich. Nein, wer sagt, Fliegen sei schöner, weiß nicht wovon er spricht!

Autorin: Meike Holland, Skipperin an Bord der ZUVERSICHT